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Silber strategisch

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

Für die Meisten ist es leicht nachvollziehbar, dass der Wert eines Gutes vom Kontext der Entscheidung abhängt, in der ein Mensch einer Sache einen Wert gibt. Diese Wertentscheidung dient primär und ganz grundsätzlich dem Überleben und der Befriedigung von individuellen Bedürfnissen. Sie ist wesentlich von der Menge verfügbarer Güter und den Mitteln abhängig, die man zum Tausch oder Kauf zur Verfügung hat. Das Risiko oder die Wahrscheinlichkeit, mit der eine stabile Tauschsituation verschwindet, beeinflusst den Wert eines Gutes ebenso. Auch deshalb zahlt man an Börsen Liquiditätsprämien. Man zahlt aber allgemein auch für Knappheit des Gutes, weshalb Angebot und Nachfrage eine entscheidende Rolle spielen sollten. Die Preisbildung hat in ihrem Kern einen möglichst stabilen Wertmaßstab und sollte den Wert des Gutes tendenziell widerspiegeln.

 

Wenn nun aber die individuelle Fähigkeit zur Bewertung von Gütern von wesentlich anderen Faktoren als den eigenen Maßstäben getrieben ist? Wenn also ein künstlich geschaffener Kontext eine Stabilität vortäuscht, die weder auf dem realen Verhältnis von Angebot und Nachfrage beruht noch die realen Stabilitätsrisiken für Märkte und Individuen einpreist? Die Bewertung ist dann auf individueller als auch aggregierter Ebene ökonomisch instabil.

 

Man könnte auch sagen, der Frosch wird langsam gekocht. Aber die Sache hat einen Haken, denn das System hat einen inneren Drift bei seiner Systemstabilität. Irgendwann ist der Frosch gekocht und das System funktioniert nicht mehr, vor allem dann, wenn die Frösche untereinander kommunizieren und sich gegenseitig in der Ansicht bestärken, dass man langsam gekocht wird. Übertragen auf Märkte wäre dies in einer abrupten Änderung der finanziellen Präferenzen, der plötzlichen Einpreisung von zuvor anders wahrgenommenen Risiken und eine Änderung von strategischen Entscheidungen sichtbar. Dann sind Nachholeffekte sehr wahrscheinlich, die auf der rückwirkenden Neubewertung von Gütern wie etwa Vermögensanlagen beruhen.

 

Die andere Seite sind die Rufer in der Wüste. Es sind jene antizyklischen Investoren, die Marktübertreibungen in ihre Anlagestrategie einbauen und nutzen. Es sind die Produzenten derjenigen Güter, die durch den Herdentrieb der Bewertung von Vermögenswerten unterbewertet werden wie etwa die Unternehmen, die Gold und Silber fördern. Und es sind jene, die ständig gegen den Wind rufen, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt, weil synthetische Terminkontrakte (Schwanz) etwa auf Gold und Silber an Börsen die Bewertung dominieren, deren Settlement nur Buchgeld erfordert und kein physisches Gold oder Silber (Hund).

 

Dies konnte man Ende Januar wieder auf der ,,Vancouver Resource Investment Conference 2019‘‘ beobachten, dem seit 25 Jahren größten Treffen für kleinere Rohstoffunternehmen und der Hauptinformationsquelle für Investmenttrends und Ideen im Rohstoffsektor. Dabei wurde erneut deutlich, dass das große Anlagekapital den Edelmetallsektor weiterhin kaum beachtet und die Finanzierung der Unternehmen extrem schwierig ist. Quelle für Effizienzsteigerungen sollen nun insbesondere Firmenübernahmen sein, um durch Synergieeffekte die Produktivität zu steigern. Nach dem Motto, was einen nicht umbringt, macht einen härter. Interessant hierbei: Die Minenunternehmen fördern Silber und Gold im Verhältnis 8:1, an der Börse reibt man sich jedoch die Augen, denn bei einem Silberpreis von rund 15,50 US-Dollar und einem Goldpreis von rund 1300 US-Dollar liegt das Preisverhältnis bei knapp 84. Wie passt das zusammen?

 

Und die Lücke zwischen Wert und Preis wächst weiter. Die reale Faktenlage ist eigentlich erdrückend. Die Industrienachfrage nach physischem Silber ist 2018 erneut gegenüber dem Vorjahr angestiegen und liegt nahe dem Allzeithoch aus dem Jahr 2005, das Primärangebot der Minenunternehmen erreichte seinen Zenit 2014 mit 1,01 Mrd. Unzen und sinkt seitdem. Die Rückgewinnung von Silber geht ebenfalls seit 2 Jahren zurück, während seit Jahren ein reales Angebotsdefizit besteht, nicht zuletzt durch die steigende Nachfrage der Solarindustrie, ganz zu schweigen von der Eigendynamik gewinnenden Nachfrage aufgrund der zunehmenden Elektromobilität.

 

Der Ausblick ist klar: Lagen die staatlichen Silberreserven 1970 noch bei über 350 Mio. Unzen, betrugen diese 2018 weniger als 50 Mio. Unzen und damit weniger als 5 % des jährlichen Angebots. Ein effektiver Versorgungspuffer sieht anders aus! Und Gott bewahre, was wäre eigentlich bei einer de facto Re-Monetarisierung von Silber, wenn die Zentralbanken ihre Devisenreserven zum Teil in Silber halten wollten? Ein kurzer Blick nach Indien kann diesbezüglich inspirieren!

Und wie passt all das zu einem fallenden oder gleichbleibend niedrigen Preis? Es passt im Lichte des zuvor Erwähnten besonders dann gut, wenn man sich daran erinnert, dass die Short-Kontrakte auf Silber zuletzt ein Allzeithoch erreichten. Das Sentiment für Silber ist auch deshalb so schwach, weil der Kampf um das Werthaltigkeits-Narrativ mit neuen Anlagen wie Kryptowährungen geführt wird.

Das relative Argument endet aber nicht mit Finanzinnovationen. Von 1980 bis 2018 haben Gold von 850 USD auf 1300, Platin von 752 USD auf 800 USD und Palladium von 350 USD auf 1400 USD zugelegt. Und Silber? 1980 betrug der Silberpreis 50 USD, heute liegt er mit 15,50 USD rund 70 % darunter.

Strategisch attraktiv wird Silber als Vermögensanlage aber vor allem relativ zu seiner früheren Bedeutung: 1980 betrug der Anteil von Silber am weltweiten Vermögen über 0,25 %. Heute liegt der Wert unter einem Zwanzigstel davon!

 

Schon einmal kam von der Weltgeschichte Gegenwind für die Begründungslogik niedriger Silberpreise als Ausdruck niedrigen Wertes. Als im Oktober 1960 Gold in London auf 40 US-Dollar stieg und damit eine offensichtliche Arbitragemöglichkeit zum offiziellen Umtauschkurs von 35 US-Dollar je Feinunze bildete, wurde Ende 1961 der Londoner Goldpool als Gegenmaßnahme geschaffen, der jedoch 1968 zusammenbrach. Parallel dazu standen die USA durch die explosionsartige Erweiterung von industriellen und militärischen Anwendungen für Silber kurz vor einem Defizit bei der Produktion von Silbermünzen, wie US-Präsident Lyndon Johnson vor dem US-Kongress kurz vor der Unterzeichnung des Coinage Act von 1965 erklärte. Mit diesem Gesetz wurde Silber im Wesentlichen entmonetarisiert, was allerdings Ausdruck seiner hohen Werthaltigkeit und großen inneren Verwendungskonkurrenz ist und nicht seiner Minderwertigkeit!

 

Fazit: Ein klarer Blick auf diese Ausgangslage erleichtert die Unterscheidung von nudging-basierten Informationspolitiken einerseits und den realen Knappheiten sowie fundamentalen Nutzenüberlegungen andererseits. Denn es ist gerade das Fiatgeld, mit dem der Preis von Silber weit unter seinem realen Wert gehalten wird. Und es ist die relative Wertminderung eben dieses Fiatgeldes gegenüber jahrtausendealten Alternativen wie Silber und Gold, die damit verschleiert werden soll. Wer strategische Ziele erreichen will, benötigt je nach Weltlage auch die dafür geeigneten Mittel im Sinne einer Ziel-Mittel-Kongruenz. Es gibt somit gute Gründe, Silber als strategisch wertvollen Vermögenswert anzusehen und ihn als solchen in die eigene Vermögenslage zu integrieren.

 

13.02.2019 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de

 

 

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