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Die Zinsillusion der Märkte

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

So hatten sich die Märkte das mit dem FED-Put nicht vorgestellt: Nachdem die Aktienmärkte an der Schwelle zum Bärenmarkt stehen und die Anleihemärkte in den USA nach der inversen Zinsstrukturphase am langen Laufzeitende einen starken Rückgang des Wachstums begannen einzupreisen, erwarteten die Marktteilnehmer ganz überwiegend, dass die US-Notenbank den Nacken der gebeutelten Aktieninvestoren wenigstens ein bisschen krault. Aber nix da: Ein smarter, mit doppelt so hoher Sprechgeschwindigkeit wie seine Vorgängerin dozierender Notenbankchef Powell ließ den diesbezüglichen Vergewisserungsbedarf auf der auf die Entscheidung folgenden Pressekonferenz an sich abperlen und verwies auf die robusten Wachstumsprognosen für 2019. Und schließlich habe man im Moment ja nun nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Zinserhöhungen für das nächste Jahr eingeplant. Das muss erst mal an Rücksichtnahme reichen!

 

Es reichte aber nicht. Nicht den Märkten, denn der Dow Jones Industrial liegt aktuell unter 22.900 Punkten, während er kurz vor der Entscheidung noch bei 24.000 Punkten lag. Es reichte auch nicht dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der BIZ in Basel, der Zentralbank der Zentralbanken. Deren Generaldirektor, der Mexikaner Augustin Carstens, hatte einige Tage zuvor noch mal deutlich gemacht, dass der IWF aktuell nicht genug Ressourcen für die Bewältigung einer neuen Finanzkrise hat. Was wäre also wenn?

 

Nach den Twitter-Tweets von US-Präsident Trump und den Warnungen von Hedgefund-Legenden wie Stanley Druckenmiller und Ray Dalio vor einer Zinserhöhung war ein Erwartungsdruck auf das FED aufgebaut, dem die US-Notenbank offensichtlich nicht nachgeben wollte und möglicherweise auch nicht konnte. Denn die politische Unabhängigkeit der Notenbank ist ein hohes öffentliches Gut, was historisch eine mit viel Leid fundierte Erfahrung ist und was man zuletzt in der Türkei, Argentinien oder auch in Indien miterleben konnte. Denn geldpolitische Unabhängigkeit ist eine notwendige Bedingung für das Vertrauen in die Geldpolitik. Und damit liegt der FED-Put wohl um einiges tiefer als die derzeitigen Indexstände der Aktienmärkte.

 

Denn, wie Jerome Powell mehrfach betonte, beachtet das FED eine Vielzahl von Indikatoren bei seiner Zinsentscheidung als auch beim Abbau ihrer Bilanz um rund 50 Mrd. US-Dollar monatlich. Und es lässt dabei keinen Erwartungsdruck durch einzelne Indikatoren zu. Die wichtigsten Steuerungsgrößen aufgrund des dualen Mandats der US-Notenbank, die Inflationsrate und die Arbeitslosigkeit, liefern vorerst keinen Grund, von einer langsamen Normalisierung des Zinsniveaus abzurücken. Wo dieses normale Zinsniveau aber liegt, weiß auch das FED nicht. In der Vergangenheit merkte die Notenbank selten rechtzeitig, dass die Wirtschaft ihren Abschwung bereits begonnen hatte.

 

Eine Frage auf der Pressekonferenz war allerdings, warum man denn dann die Zinsen überhaupt erhöhe, wenn ja weder die aktuelle Inflationsrate von 2,2 % Gefahr signalisiert noch die niedrige Arbeitslosenquote von 3,7 % Lohndruck generiert, zumal ja die Partizipationsquote der arbeitsfähigen Bevölkerung weiter auf deutlich unbefriedigendem Niveau sei.

 

Die ausweichende Antwort schafft einen besseren Blick auf einen Grund, der überhaupt nicht zur Debatte stand, aber durch die extrem langen, extrem niedrigen Zinsen der letzten Jahre eine riesige ökonomische Sprengkraft bekommen hat – die Zahlungsverpflichtungen der Vorsorgekassen und Pensionsfonds. Vor allem im öffentlichen Sektor von Kalifornien bis Illinois zeigen die verzweifelten Versuche, die immer größeren Deckungslücken zu stopfen und dabei ggf. die Auszahlungen auch drastisch zu senken, welches Verarmungspotential und welche soziale Sprengkraft in den extrem niedrigen Zinsen stecken. Die US-Notenbank könnte deshalb sehr wohl das für sie kleinere strategische Übel enttäuschter Aktieninvestoren wenigstens eine Zeit lang in Kauf nehmen, um einem großen Teil von eher risikoaversen Anleiheinvestoren wieder eine positive reale Rendite zu verschaffen.

 

Dass dies zu einem Stresstest für Zombiefirmen und überschuldete Immobilienspekulanten wird, war ja wie vor 10 Jahren schon lange klar. Hier helfen nur eine verstärkte Risikosensitivität und eine konsequente Risikosteuerung. Die sich aktuell weltweit verknappende Liquidität könnte derweil bis zum diesbezüglichen Überdehnen den heiligen Gral der Portfolioinvestitionen wieder vom Kopf auf die Füße stellen und zu einer realistischeren Bewertung von risikobehafteten Vermögenswerten führen, denn ein aktuell oft ertragsfreies Risiko (return-free risk) wie Negativzinsen ist eine ökonomisches Oxymoron, da der natürliche Zins nicht negativ ist!

 

Und was die letzte geldpolitische Entscheidung der US-Notenbank angeht: Das FED hat (noch) nicht geblinzelt. Aber das ist möglicherweise trotzdem nur eine Frage der Zeit, denn US-Präsident Trump wird nicht zusehen, wie der Börsenaufschwung der Aktienmärkte, den er sich zuschreibt, in die Grütze fährt. Und wenn schon, dann soll die US-Notenbank die Verantwortung dafür haben. Denn schließlich hat er sich schon lange zur Wiederwahl 2020 angemeldet, die durch die Verantwortung für eine Wirtschaftskrise akut gefährdet wäre.

 

 

20.12.2018 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de

 

 

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