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Notenbanken im Nebel

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

Die Meldung war kein Aufreger, und die anschließende Pressekonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi am vergangenen Donnerstag war durchaus geeignet, den Ruf des weitsichtigen Strategen bis zum Ende seiner Amtszeit Ende dieses Jahres zu retten. Bis zum Sommer 2018 will man die aktuelle schnelle Abschwächung der Konjunktur beobachten und ist bereit, bei negativen Schocks die geldpolitische Herz-Lungen-Maschine hochzudrehen. Der Einlagenzins blieb auch weiter wie schon seit März 2016 bei – 0,4 %, was bei der gerade von Eurostat veröffentlichten Inflationsrate für 2018 von 1,7 % einen realen Negativzins von – 2,1 % für den Euroraum ergibt.

 

Doch des einen Freud ist auch hier des anderen Leid: Die niedrigen Zinsen lassen Schuldner ruhiger oder überhaupt erst einmal schlafen. Diejenigen aber, deren Deckungslücke zukünftiger fest geplanter Erträge durch die extremen Nominalzinsen und negativen Realzinsen durch die Decke geht, sehen darin möglicherweise das, was es ist. Eine schleichende Enteignung, die zu einer Vermögensumverteilung von Gläubigern zu Schuldnern führt. Wie lange noch wird sich zeigen, denn wenn die Fähigkeit zum Schuldendienst schneller sinkt als die Belastung, geraten Saldenmechanik und Vertragstreue ins Wanken.

 

Der EZB-Präsident skizzierte einstweilen die stärker werdenden Risikofaktoren für den geldpolitischen Ausblick der EZB-Geldpolitik, denn diese sogenannte Forward Guidance könnte die Fata Morgana von Zinserhöhungen umso schneller verschwinden lassen, je kälter das Geschäftsklima vor allem in der Automobilindustrie und je größer damit auch wieder die Eigenkapitalnot im Bankensektor des Euroraumes wird.

 

Der wichtigste Punkt kam auch kurz zur Sprache: Die Geldpolitik der EZB könne kein Ersatz für eine strukturoptimierende und produktivitätsorientierte Wirtschaftspolitik sein. Oder anders ausgedrückt: Die EZB hat seit der Finanzkrise 2008 Zeit gekauft, die nun abgelaufen ist. Eine Überdehnung des EZB-Mandats auf der einen, eine unterlassene Politik auf der anderen Seite. Es scheint, als rutscht man in der EU langsam in den wirtschaftspolitischen Straßengraben. Ganz zu schweigen von einer unfertigen, weil konstitutionell höchst bedenklichen Haftungsgemeinschaft bei Bankeinlagen, einer höchstrichterlich abgesegneten Quasistaatsfinanzierung und Target-2-Salden jenseits von Gut und Böse.

 

Dass ein seit Jahren mit höchster Drehzahl fahrender Kreditvergabezyklus die Zinssensitivität des gesamtwirtschaftlichen Neuverschuldungspotentials erhöht ist bekannt und wurde für das Hinauszögern des Zahltages billigend in Kauf genommen. Folgt nun der zwischenstaatliche Bail-in in der Europäischen Union? Vor den neunten Direktwahlen zum EU-Parlament Ende Mai 2019 wird man Schadensbegrenzung betreiben müssen, um keinen basisdemokratischen Brandbeschleuniger zu entzünden. Die Erfolgschancen, den Spagat aus Legitimität und Effizienz zu schaffen sind gleichwohl umso geringer, je länger man die Realität negiert.

 

In den USA hat die Notenbank auf der Straße der Zinserhöhungen schon mal deutlich gebremst und ebenfalls die Datenabhängigkeit der eigenen Politik von Bilanzabbau bis Zinserhöhung betont. Das belegen nicht zuletzt die Protokolle der Notenbanksitzung im Dezember, auf der die Zinsen nochmals um 0,25 % erhöht wurden. Ob und wie schnell sich das FED auf der Hacke drehen muss, wird nicht zuletzt durch zwei Faktoren entschieden: Die wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr und das daraus folgende Budgetdefizit, was neben seiner strukturellen Defizitkomponente auch noch stark konjunkturabhängig ist und sich in einer Rezession leicht verdoppeln kann. Zum anderen aus der Möglichkeit, dass die US-Konjunktur möglicherweise nicht ansatzweise so stark ist wie von der Notenbank angenommen. Was im Ergebnis bedeuten kann, dass die US-Geldpolitik jene Rezession erst auslöst und sie diese erst im Rückspiegel sieht, wenn sie nicht mehr umkehren kann. Eine Kombination beider Faktoren ist der explosive Hintergrund, vor dem die Geldpolitik in den nächsten Monaten entschieden wird und dessen Chaospotential sie auffangen muss.

 

Und während Japan derweil weiter im geldpolitischen Delirium steckt, liegt auf der anderen Seite des japanischen Meeres schon ein bisschen der Geruch des geldpolitischen Kontrollverlustes in der Luft. Die chinesische Notenbank kündigte Maßnahmen an, um den geldpolitischen Transmissionsmechanismus vor allem durch die Ausgabe ewiger Anleihen durch lokale Banken zu intensivieren. Primärbanken können diese Anleihen als Pfand für Repogeschäfte nutzen. Gleichzeitig sollen Versicherungen leichter in diese Anleihen investieren können. Insgesamt könnte es zu einem Risikotransfer auf die chinesische Notenbank als Backstop und damit sowohl zu einer deutlichen Erhöhung der Marktliquidität für diese ,,perpetual bonds‘‘ als auch zu einer Ausweitung des Kreditangebots kommen. Wie nachhaltig diese Liquiditätsspritze ist, und welche Nebenwirkungen dieser Risikotransfer für die Investmentqualität des finanzierten Wachstums und die Bilanzqualität der Banken haben wird, bleibt abzuwarten.

 

Fazit: Für die Richtung der Liquiditätsflüsse von institutionellen Anlegern ist neben der Zinsdifferenz auch deren Vertrauen in die Notenbank von Bedeutung. Die Anzeichen einer aufziehenden Rezession zu ignorieren lässt diese nicht verschwinden. Die Notenbanken haben ihren großen Anteil an der globalen Kreditsättigung und durch die Zinssenkungen und umfangreiche Bonitätsleihe dem Wachstum eine unverhoffte Ehrenrunde verschafft. Da aber Kredite durch noch mehr Kredite vor allem bei struktureller Wachstumsschwäche mit geringerer Wahrscheinlichkeit getilgt werden, dürften die Markteingriffe der Notenbanken nicht nur irgendwann zu einem peitschenartigen Zinseffekt führen, sondern dann auch deren Eigenkapital pulverisieren. Die Absicht, die natürlichen Folgen des Wachstumszyklus zu unterdrücken führt nur zur Erhöhung der Schlussrechnung. Vertrauen geht anders!

 

25.01.2019 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de

 

 

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