Der Silberschwanz
Ein Marktbericht von Arndt Kümpel
Die Jahrtausende stabilen Geldes in Form von Gold und Silber sind zwar seit Abschaffung der Deckung von Geld durch Gold und Silber verblasst, haben aber spätestens seit der Finanzkrise 2008 neue Aufmerksamkeit gefunden. Dies ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass das fraktionale Reservesystem eine Geldschöpfung ermöglicht, bei der man seine monetäre Zukunft sprichwörtlich verfrühstückt. Ob Krieg oder Krise, der Staat braucht mehr Geld als er Gold und Silber hat. Damit reißt der Vertrauensanker bei Staat und Notenbank, und die Stabilität der Währung hängt nun nur noch vom Glauben an die Vertrauenswürdigkeit beider ab.
Während Gold als Notenbankreserve bis heute eine bedeutende Rolle im Geldsystem spielt, ist dies für Silber nicht so deutlich, weshalb ein genauerer Blick auf die Dynamik des physischen Silbermarktes lohnt.
Interessanterweise entstand ein Überangebot an Silber historisch nicht nur nach der Eroberung von Ländern mit großen Silbervorkommen wie etwa bei der Kolonialisierung Lateinamerikas durch Spanien nach 1492. Denn auch die politische Entscheidung, Silber als Geld abzuschaffen und durch Schuldgeld zu ersetzen, erzeugt zwangsläufig ein Überangebot an Silber aus den bis dahin umlaufenden Münzen. Wenn dieser Abschaffung jedoch die Einsicht zugrunde liegt, dass Silber zu wertvoll ist, um als Geld verwendet zu werden, dann beinhaltet das Überangebot von Silber nach der Abschaffung als Geld ein massives Fehlsignal! Es ist dabei wohl kein Zufall, dass die Wellen der Abschaffung von Silber als Geld mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und mit der Bedarfsexplosion durch technologischen Wandel ab Mitte des 20. Jahrhunderts zusammenfielen. Verstärkt wurde dies durch den politischen Druck, Geld zur Kriegsfinanzierung zu schaffen.
Ein Hinweis auf die Motivlage der Akteure bei der Preisbildung gibt die Nachfragestruktur, denn aufgrund seiner sehr vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten ist Silber neben der Schmuckindustrie und der Investmentnachfrage vor allem in der Medizin, in den Mobilitäts- und Kommunikationsindustrien sowie in der Waffentechnik von großer Bedeutung. Kurz, es ist ein strategisches Metall und damit ist sein Preis auch von strategischer Bedeutung!
Und nur mit der Dynamik und Struktur seines physischen Marktes ist Silber zudem nicht vollständig zu erfassen. Notwendig ist zudem ein Blick auf die Silber-Terminmärkte, die eine extreme Diskrepanz zwischen Wert und Preis ermöglichen. Denn für den Verkauf von Papiersilber, das den Preis entscheidend beeinflusst, ist kein physisches Silber notwendig, vor allem an der weltgrößten Terminbörse COMEX in den USA, wobei entsprechende Handelsstrategien eine physische Lieferung zu vermeiden suchen. Durch die viel höhere Anzahl der offenen Lieferkontrakte gemessen an den zur Lieferung für diese Kontrakte zur Verfügung stehenden realen Silberbestände ergibt sich ein Angebot-Nachfrage-Verhältnis, welches den Eindruck verstärkt, dass hier der Schwanz (Terminkontrakte auf Silber) mit dem Hund (Basiswert = Silber) wedelt.
Dass es dabei sowohl nachfrageseitige Motive für einen niedrigen Silberpreis als auch profitable Handelsstrategien der Bullion-Banken zur systematischen Niedrighaltung des Silberpreises gibt, erschwert eine Angleichung von Preis und Wert. Verstärkt wird dieser Umstand noch dadurch, dass der Verdacht der Preismanipulation bei Silber und Gold inzwischen bestätigt wurde. So reichte die Beweislage für die US-Börsenaufsicht CFTC aus, gegen die Deutschen Bank wegen Preismanipulation bei Gold und Silber eine Strafe von 30 Mio. USD zu verhängen, während die kanadische Bank of Nova Scotia mit einer Strafe von 800.000 USD billiger davonkam, weil sie kooperierte. Und im November wurde schließlich ein Händler der US-Großbank J.P. Morgan der Preismanipulation von Edelmetall-Futures schuldig gesprochen. Die CFTC prüft nun eine Kartellklage gegen die Bank. Marktmacht lässt sich eben auch hier in ganz reale Gewinne umwandeln.
Fazit: Ein strukturelles Angebotsdefizit bei Silber und die Risikostruktur der derzeitigen weltweiten Vermögensanlagen, in denen Silber wie auch Gold kaum messbar sind, bieten sowohl Erklärungsansätze für den aktuellen Silberpreis als auch für die Tendenz der nächsten mittelfristigen Kursbewegung. Auf diesem Weg sind für den Silberpreis Luftlöcher von Nachfrageschocks in Krisen und von Terminmärkten jederzeit möglich. Sie sollten aber nicht den Blick auf die langfristigen Trends verstellen, denn der Schwanz kann zwar weiterhin jederzeit mit dem Hund wedeln, ein Hund wird er deshalb aber noch nicht.
26.11.2018 - Arndt Kümpel - a.kuempel@emh-group.de
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Armin Kempf
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26.11.2018 03:33:02 Uhr
Pflichtlektüre! Silber hat sein Potential noch lange nicht gezeigt. Man beachte die letztlichen Verwerfungen bei den Platinmetallen.